Cael
Träge öffnete ich erst das eine, dann das andere Auge. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich mehrere Tage am Stück geschlafen. Gähnend rieb ich mir mit der flachen Hand übers Gesicht, dann durchs Haar, das mir wirr vom Kopf stand und das in den letzten Wochen länger geworden war. Eine Rasur hatte ich auch so langsam nötig. Ich war das kratzige Gefühl unter meinen Fingerspitzen nicht gewohnt. Aber vielleicht gefiel Ilea diese neue wilde Seite an mir. Bis jetzt hatte sie sich jedenfalls beim Knutschen nicht darüber beschwert.
Mit einem kleinen Schmunzeln neigte ich den Kopf nach unten, um ihr ins Gesicht zu sehen, da bemerkte ich Ivoli, der mit der Pfote in ihre Wange drückte und sie mit der Schnabelspitze an der Schläfe kraulte. Das tat er selten. >Geh mal zur Seite, Kleiner. Wir wecken sie am besten auf, wenn sie böse Träume plagen.< Ihr Gesichtsausdruck wirkte alles andere als entspannt, daher vermutete ich einen schlechten Traum. >Ilea, wach auf.< sagte ich sanft, während ich ihre Schulter leicht rüttelte. >Ein neuer Tag erwartet uns.<
Imesha
In der heutigen Nacht suchten mich keine seltsamen Erinnerungen oder Träume heim. Ich schlief tief und fest, ohne Unruhe, ohne spontane Spaziergänge in der Kälte. Deshalb fühlte ich mich sehr ausgeruht, als ich mich leise gähnend streckte und dehnte, jedoch schnell auf Widerstand stieß. Etwas Schweres lag an meinem Rücken und mir stieg ein äußerst vertrauter Duft in die Nase. Außerdem fühlte sich meine gesamte Vorderseite wärmer als meine Rückseite an, als würde ich nahe am Feuer liegen.
Verwirrt öffnete ich die Augen und blickte zuerst auf ein Kinn, dann einen breiten, kantigen Kiefer und schließlich auf perfekt geschwungene Lippen. Leicht geöffnet und irgendwie... einladend. Sobald mir dieser Gedanke kam, war ich über mich selbst erstaunt. Zum Teil sogar geschockt. Mir war sowas nie zuvor in den Sinn gekommen. Erst dann fiel mir ein, worüber Ryu und ich gestern Abend gesprochen hatten und wieso mein Herz gerade wieder zu rennen begann. Vor Aufregung. Neugier. Unsicherheit. Alles in einem. Unwillkürlich leckte ich mir über die Lippen und schluckte trocken. Ich sollte mir ernsthaft Gedanken über das machen, was ich wollte, aber mein Verstand hatte sich offenbar schon früh morgens verabschiedet, weil ich nicht aufhören konnte Ryus Mund anzustarren, als wäre er verboten. Dabei gingen mir seine gestrigen Worte nicht aus dem Kopf. Ich hörte sie immer und immer wieder.