Chastity Ruth
"Der Nachtisch war fantasisch, Mrs Growline!", flüsterte Annette der Köchin zu, damit es die Älteren nicht mitbekamen. Später würde sowieso die ganze Familie ein großes Lob und Dankeschön an Mrs Growline geben, aber wenn die Corraface da waren, gaben alle nur leichte Reaktionen von sich. "Danke", lächelte Mrs Growline zufrieden. Minuten vergingen und an dem Blick, den Mom und Dad untereinander austauschten, wusste ich, dass sie sich heimlich fragten, ob Christopher nicht doch weggerannt war. "Wo ist denn der Singvogel?", fragte mich Brodan leise. Ich war etwas übergereizt, deshalb sah ich ihn mit eindringlichem Blick an: "Christopher, Brodan. Christopher." "Entschuldige", erwiderte er mit einem leichten Lächeln und ich nickte nur. Wann sah er es ein, dass dieses "Singvogel hier, Singvogel da" nicht dazu beitrug, dass die beiden sich endlich einmal verstanden? "Vielen Dank für das köstliche Abendessen. Einen großen Lob an die Köchin", Mrs Corraface strahlte die Köchin an, die verlegen einen leichten Knicks machte. "Ich denke, wir sollten uns langsam auf den Weg machen, nicht wahr?", lächelte sie daraufhin ihren Mann an. Mr Corraface nickte. "Ich bedanke mich ebenfalls für die freundliche Aufnahme." "Danke, dass ihr uns mit eurem Besuch erfreut habt", Mom sah beide freundlich an. Langsam erhoben sich alle und wir wünschten den Corraface eine gute Fahrt. Als Brodan bei mir ankam, nahm er meine Hand, auf der ich kurz darauf einen leichten Kuss spürte. "Gute Nacht, Ruth. Schlaf gut. Ich freue mich auf morgen", sagte er und lächelte wieder ein charmantes Lächeln. "Danke, Brodan, du auch", freundlich winkte ich ihm zu, ehe er mit seinen Eltern aus dem Esszimmer trat. Mr Greward begleitete sie zu dem Wagen, der unten auf sie wartete. Irgendwie, ich wusste nicht wieso, hatte ich das Gefühl, etwas vergessen zu haben. Als gäbe es einen Grund, warum ich Brodan nicht besser hätte einladen sollen. Aber ich war noch so durcheinander wegen der Sache von vorhin mit Chirstopher und seinem Durchschauen, dass es mir einfach nicht einfiel! Elvea seufzte. "Endlich kann ich meine Füße ausstrecken! Diese Schuhe... Ich habe kein Gefühl mehr in den Füßen." "Und ich kriege in diesem Kleid keine Luft mehr", Annette pustete sich eine Locke aus dem Gesicht und Trevor-Brian schüttelte grinsend den Kopf. "Ich zitiere von Mr Greward: 'Und wo sind die Manieren hin?'" "Trevor" kam es gleichzeitig von meinen Schwestern und ich schmunzelte. "Wollen wir noch etwas Fern schauen?", fragte Elvea. Meine beiden Geschwister begleiteten sie in den Wohnzimmerbereich von uns Jüngeren, während ich darauf bestand, kurz bei Mrs Seerose vorbeizuschauen. Hoffentlich bekam gleich niemand mit, wie ich Ärger von ihr bekam. Meine Mom wusste mein Vorhaben und sah mich mitfühlend an. Das Schloss wurde mittlerweile von den vielen Lampen beleuchtet, als ich durch die Gänge ging. Es war schon tief in der Nacht. Als ich unten in ihrem Atelier ankam, zögerte ich und biss mir auf die Unterlippe, kniff kurz die Augen zusammen und atmete durch. 'Du schaffst das', versuchte ich mir Mut zu machen. Zaghaft klopfte ich. Dann etwas lauter. "Herein!", hörte ich die strenge Stimme sagen. Mit Unbehagen drückte ich die Türklinke herunter und Mrs Seerose ließ einen spitzen Schrei los. Ihr Blick hatte sich an den unteren Saum des Kleides gehaftet, der mit Schlamm beschmiert war, das mittlerweile zu einer Kruste geworden war. "WAS IST DENN MIT DIR PASSIERT?", fragte sie mich nach geraumer Zeit atemlos und ich drückte die Spitze meines Schuhs in den Boden. "Ich bin in eine Pfütze getreten." "WIE BITTE? In eine PFÜTZE?" "Ja...?", erwiderte ich verunsichert und versuchte mich an einem lieben Lächeln. "RUTH!", mit anklagendem Blick deutete sie mit ihrem Zeigefinger auf mich. Oh weia.